26.01.2008 / 09:22 / Sascha Lobo liest: Der ewige Spiesser (Ödön von Horvath)

Kapitulation (Der ewige Spiesser)


Für meinen früheren Berufswunsch Fotograf (wg. Girls) wird der bereits vor Jahren abgefahrene Zug nun wohl auch noch unbefristet bestreikt.
Buch, ich habe Dich enttäuscht. In den letzten Wochen, nein Monaten, habe ich Dich stets bei mir herumgetragen und nicht ein einziges – der Amerikaner würde fucking sagen – Mal aufgeschlagen. Dein streng durchdesignter Fleckhausumschlag um das billige Suhrkamp-Intellektuellenpapier herum zerfledderte zwischen Ladegerätkabeln, ungeöffneten Briefen und fünf Pfund Gadgetschmodder inkl. den zwölf Adaptern, die der Appleaddict zum technischen Überleben braucht. Ich habe Dich, das gebe ich zu, scheisse behandelt, Buch. Was hast Du mir Steilvorlagen in den Weg geführt, der Besuch bei Paules Metal Eck, einer Metalkneipe in Friedrichshain, in der Langhaarige geistig völlig verCDUen, ohne es zu merken; sie sind Ultraspiesser, in Leder und Nieten gekleidete Ledernieten, sie stellen sich nicht in Frage und besitzen die Toleranz einer DIN-Vorschrift. Du warst bei mir, in meiner Tasche, und führte dieses Thema, das sich in Paules Metal Eck aufdrängte und das Dein Thema ist, Dein innerster Kern, führte es mich in Deine Gedankenwelt? Nicht im Ansatz. Auf der Toilette ging ich mit einem Stadtmagazin fremd, einem kostenlosen, dessen Namen ich nicht mal mehr weiss. Ich las alles Mögliche in den letzten Wochen, SMS, veraltete Fahrpläne, Tonnen und Tonnen von Schildern, Artikeln, Etiketten. Du merkst, das ist alles Traubenzuckerlesestoff. Die Substanz, Buch, die Substanz hole ich mir inwzischen woanders, nämlich im Netz.

Ich will nicht lange drumrum reden, Buch, wir passen nicht zueinander. Du bist so papiern. Du bist mir zu analog. Du hast kein inneres Leuchten. Du kannst nicht im Dunkeln. Und: Du scrollst einfach schlecht. Du veränderst Dich nicht mehr, Du bist erstarrt und beharrst auf Deinen Standpunkten. Du wirst älter, wenn man sich mal nicht so sehr um Dich kümmert, diese Wochen unter Ladekabeln haben Dich arg mitgenommen, Du siehst erbärmlich aus. Und sowas ist mir schon wichtig, ich möchte eigentlich nicht mit hässlichen Büchern gesehen werden.

Buch, es ist aus. Es ist vorbei. Ich werde Dich nicht zu Ende lesen, ich beginne eine neue Affäre mit gutenberg.spiegel.de – solider, gereifter Stuff, aber digital frisch aufgedonnert. Tschüss, Buch. Melde Dich, wenn Du dazu gelernt und Dir einen Kindle besorgt hast.


Kommentar #1 von a flexible friend:

aber, herr lobo, verharren sie doch nicht im digitalen. da wären wir ja genau beim tenor jenes hervorragenden werks, das genau diese haltung aufspiessert: "ich bin zeitlebens intellektuell an das gekettet, was ich mir vertraut gemacht habe" (frei nach dem kleinen prinz, auch als mp3-download erhältlich). aber die bohème, die ist doch a step ahead, ist sie nicht? Mit elke heidenreich sage auch ich: "lesen!", aber zackig...

26.01.2008 / 10:57

Kommentar #2 von Hamburger Schule:

Sie Tocotronic, sie!
Setzen, usw...

28.01.2008 / 13:30