18.12.2007 / 09:28 / Volker Jahr liest: Reise um die Welt (Georg Forster)

Der Treter mit dem Engelsgesicht (0-0)


Karl-Heinz Förster, Abb. typähnlich
(Quelle: Flickr, wetwater)
Karl-Heinz Förster, der "Treter mit dem Engelsgesicht", hat mir 1986 das Abitur versaut, na ja, nicht richtig versaut, aber doch zumindest eine bessere Note verhindert. Naturwissenschaften und Englisch hatte ich bereits im schriftlichen Teil hinter mich gebracht und für die zwei Monate später stattfindende mündliche Prüfung mit Religion einen Selbstläufer ausgesucht. Noch dazu erlaubte uns unser Religionslehrer, der das nahegelegene evangelische Priesterseminar leitete, das Thema eng einzugrenzen, während die armen Häute, die zum Beispiel Mathematik gewählt hatten, den kompletten Stoff von vier Halbjahren repetieren mussten. Ich entschied mich für die ontologischen Gottesbeweise bei Anselm von Canterbury und Thomas von Aquin. Im Bewusstsein, das bisschen Stoff in einer Woche lernen zu können, gab ich mich völlig dem Freibad und der parallel stattfindenden Fussball-WM in Mexiko hin, wo Deutschland wieder einmal unverdient das Finale erreichte. Irgendwann hatte sich die einkalkulierte Woche auf einen Tag verkürzt, eben jenem, an dem im Aztekenstadion von Mexiko-Stadt der Titel gegen Argentinien ausgespielt wurde.

0:2-Rückstand, nur noch eine Viertelstunde zu spielen, Anschlusstreffer Rummenigge, noch sieben Minuten, Ecke Deutschland, Ausgleich Völler, Sprung vom Wohnzimmersofa an die Decke, los, jetzt auch noch den Siegtreffer in der regulären Spielzeit, alle bis zur Mittellinie aufgerückt, zwei Minuten noch, Maradona hat den Ball und schickt Burruchaga und der rennt los.

Die offizielle Geschichtsschreibung ist ja nichts anderes als im Sinne der Reduktion von Komplexität betriebene Verdichtung und retrospektive Bedeutungszumessung chaotisch und nichtlinear verlaufender historischer Ereignisse, auf die sich eine Mehrheit verständigt, und in diesem Fall besagt sie, Briegel habe Burruchaga laufen lassen. Wer aber die Aufzeichnung genau studiert, sieht, dass der Fehler bereits Sekunden vorher in Karl-Heinz Försters schlechtem Stellungsspiel angelegt war. Das flehentliche, aber vergebliche "Toni, halt den Ball" von Rolf Kramer hallte mir den ganzen Abend in den Ohren und bewirkte, dass ich gänzlich unvorbereitet zur mündlichen Prüfung am folgenden Tag erschien. Ich lavierte mich trotzdem ganz gut durch, bis mein Religionslehrer mir die Frage nach den quinque viae stellte. Als ich stockte, versuchte er mir zu helfen und meinte: Denken Sie an meinen Namen! (Er hiess Holtze und Holz wird bei Thomas von Aquin durch Feuer von Hitze in potentia zu Hitze in actu), ich war inzwischen aber vollends aus der Spur geraten und grübelte darüber, was zur Hölle "Manfred" mir in diesem Zusammenhang sagen sollte.

Auf Wunsch von Aleks Scholz möchte ich an dieser Stelle auch hinweisen auf Wilhelm Foerster, den Gründer der Archenhold-Sternwarte in Berlin und seinen Sohn Karl, den "brühmten Staudengärtner aus Potsdam". Beide, und auch der Treter mit dem Engelsgesicht, sind, das lässt sich ja schon an ihren Namen ablesen, möglicherweise Nachfahren von Georg Förster. Zugegeben, unwahrscheinlich, aber wer das Gegenteil beweisen kann, der werfe die erste Staude.

Passendes fussballaffines Zitat zum Zustand des Progressionsbalkens: "Die Null muss stehen!" (Huub Stevens)


Kommentar #1 von Gerlinde M.:

Kollege Fromme schreibt immer dazu, was er beim Lesen so hört, bei Ihnen würde passen: Florence Forster Jenkins. Vielleicht ist der Georg Forster, wegen einer ähnlich famosen Sängerin in der Familie erst auf Weltreise gegangen? Wie weit sind Sie mit der Sekundärliteratur gekommen?

18.12.2007 / 11:16

Kommentar #2 von Rudi K. Sander:

Danke für die ironisch arrangierten Blumen.
Niemand sollte über Luhmanns Welt- und Gesellschaftssicht stolpern und sich unnötig mokieren. Zugegeben, sein akademisches Schaffen ist wirklich wahnsinnig abstrakt. Es ist nicht leicht, da rein zu kommen. Wer aber einmal den Schock überwunden hat über die kalt wirkende Härte dieser Gesellschaftssicht, der muss einräumen: Dieser von den Amis enttäuschte Gerechtigkeitsmensch, der ernüchtert Jura studierte, der zum zweiten Male ernüchtert wurde, als er die unpersönliche Juramaschine der Verwaltung beim Laufen betrachtete, wen wundert es, wenn er genau so nüchtern dann die menschenverachtende moderne Gesellschaftsmaschinerie zu beschreiben versuchte. Er hat uns doch entschädigt durch eine formal schöne und klare Sprache.

18.12.2007 / 11:18

Kommentar #3 von Gerlinde M.:

Sorry, für den Tippfehler. Die Dame heisst natürlich Foster Jenkins.

18.12.2007 / 11:19

Kommentar #4 von Volker:

Danke für den Tipp, Frau M., das klingt ein wenig wie die gute Mrs. Miller ("Downtown").
Und lieber Herr Sander, keine Ironie, habe mein Vordiplom zu "Legitimation durch Verfahren" geschrieben, und darin ging es keineswegs um den Bretagneurlaub am Steuer meines VW Golf, aber haben Sie mal Richard Münch gelesen, der hat vieles meiner Ansicht nach noch besser geblickt und bleibt trotzdem systemtheorieimmanent.

18.12.2007 / 11:41

Kommentar #5 von Dingens:

Jetzt wird es aber wirklich Zeit, dass er das Buch bekommt. So geht das nicht weiter.

18.12.2007 / 13:17

Kommentar #6 von Rudi K. Sander:

Besten Dank für den Hinweis auf Richard Münch: habe sogleich in den Katalog der Hessischen Landesbibliothek geschaut: 13 Treffer!
War mir bisher entgangen. Es gibt zu viele Bücher.

19.12.2007 / 09:21

Kommentar #7 von Dingens:

He! Was ist denn los? Wir warten!
(Übrigens funktioniert dieses Auslesegedöns wirklich! Soeben hatte ich diesen Kommentar anders formuliert und dabei die Rückmeldung bekommen, er sei stilistisch mangelhaft. Stimmt gar nicht [finde ich], aber das konnte die arme Maschine nun wirklich nicht erkennen.)

03.01.2008 / 18:09

Kommentar #8 von irgendwem:

das bild sieht niemals karlheinz förster ähnlich!

05.01.2010 / 19:34