02.12.2007 / 21:30 / Volker Jahr liest: Reise um die Welt (Georg Forster)

Ein Leben in Scherben (0-0)


Nicht Vita Forster, obwohl man das vermuten könnte, sondern Georg
Als Georg Forster so alt war, wie ich jetzt bin, war er schon fast zwei Jahre tot. Im Gegensatz zu mir war er da aber schon um die ganze Welt gesegelt (mit James Cook), und das vor mehr als 200 Jahren, als das noch deutlich zeitaufwändiger und teurer war als heute (mit Thomas Cook). Seine Zeitgenossen haben ihn bewundert, Goethe hat sich mit ihm getroffen, Benjamin Franklin auch, Alexander von Humboldt ihn als Vorbild für seine eigenen Naturerkundungen bezeichnet.

Jaja, Jahr, mag die Leserin bzw. der Leser jetzt rufen, woher wissen Sie das alles, sind Sie jetzt Hellseher oder haben Sie doch jemanden gefunden, der Ihnen das Teil spendiert hat? Nun, ich bekenne, ich habe gesündigt und mir Sekundärliteratur besorgt, im Gegenwert von etwa einem Sechstel hochpreisigen Forsterbandes die Biografie "Ein Leben in Scherben" in Quellen und Dokumenten. Darin lese ich, so habe ich mir vorgenommen, alles bis zur Weltreise, überspringe diese und mache mit dem weiter, was nach der Weltreise kam:

Als Georg zehn ist, schleppt ihn sein Vater Reinhold mit nach Kirgisien, wo er im Auftrag der Zarin ein Gutachten über die Lebensumstände der dort angesiedelten Wolgadeutschen erstellen soll. Dass Georg überhaupt so alt wurde, grenzt angesichts der frühkindlichen Behandlungsprozeduren, die der Vater in seinem Tagebuch festgehalten hat, bereits an ein Wunder:

"Er hatte öftere Anfälle von Regenwürmern in den Eingeweiden; welche aber bald durch Milch mit Wasser, darin man Quecksilber gekocht hatte, abgetrieben wurden."

Allerdings überwirft der Vater sich mit der Zarin und muss ohne den vereinbarten Lohn nach England ausreisen, wo die Familie als nichtdigitale Gelehrtenbohème vor sich hinexistiert. Mit 17 dann begleitet Georg, ebenfalls mit dem Vater, Sir James Cook auf einer dreijährigen Weltumsegelung, die der Entdeckung des Südkontinents dienen soll. Hier manifestiert sich die Arschlochigkeit des Vaters erneut, der sich mit allem und jedem zerstreitet, bereits während der Fahrt einige Male von Cook unter Kajütenarrest gestellt wird und im Anschluss auch den zugesagten lukrativen Auftrag zur Abfassung des offiziellen Reiseberichts entzogen bekommt, weshalb der junge Georg mit 22 ran muss. Die Kapitel hierzu überblättere ich. Georg wird zwei Jahre später Professor in Kassel, wo es ihm nicht gefällt, heiratet, wechselt nach Wilna, wo es ihm auch nicht gefällt, geht als Bibliothekar nach Mainz, wird von Frau und Kindern verlassen, schliesst sich den Jakobinern an und reist als Gesandter nach Paris, um den Anschluss der Mainzer Republik ans revolutionäre Frankreich zu beantragen. Da die Stadt, deren Geschicke heute von Leuten bestimmt wird, die Jürgen Klopp heissen, in der Zwischenzeit zurückerobert wird, sitzt Forster in Paris fest, stirbt 1794 in einer Dachkammer mit 39 an einer Lungenentzündung und wird vergessen. 182 Jahre später benennt die DDR ihre Antarktisstation nach ihm.

Notiz am Rande: Vorweihnachtlicher Gefrierschocker! Gestern unerwartet einen Bescheid zur Nachzahlung von Grundsteuer für die Jahre 2006 und 2007 in Höhe von 7,48 hochpreisigen Forsterbänden erhalten. "Reise um die Welt" ferner denn je.


Kommentar #1 von misch:

hochpreisig jaja, aber das sind 1.4 x Fachliteratur (eines EDV-Verlags freier Wahl) oder aber 0,5 x Digitalkamera oder auch 0,2 x Dauerkarte – wobei den zu lesen dauert länger, als so mancher Verein noch erstligaistisch ist – vielleicht finden sich Spender?

03.12.2007 / 13:50

Kommentar #2 von Gerlinde M.:

Zu Forsters Mainzer Zeit schreiben die Eichborns heute (18.12.2007) in ihrem Newsletter:
"Die Forsters haben den Umzug in die 27.000
Seelen umfassende Stadt am Rhein zwar nicht euphorisch begrüsst, aber sich trotzdem in der von "Weck, Worscht un Woi" geprägten Welt wohl gefühlt – trotz starken katholischem Einfluss. Über die Arbeitsstunden am Schreibtisch notierte Forster einmal, die erste Stunde, ehe die Messglocke
geschlagen hatte, sei ihm die liebste. Nichts störe dann seine Konzentration. Danach könne man in dieser kreuzfrommen Stadt keine Seite mehr füllen, ohne dass von einer der vielen Kirchen eine Glocke herüberdröhnte."

18.12.2007 / 14:08