21.11.2007 / 11:04 / Bruno Klang liest: Ein unauffälliger Mann (Charles Chadwick)

Einiges über Altersgeilheit (407-494)

Sollte jemand da draussen (Ich stelle mir das Internet immer als "drinnen" vor, die restliche Welt ist "draussen"; ich weiss, das ist strittig) gerade an einem brisanten Roman arbeiten, in dem sehr junge Mädchen den Helden zum Fernsehgucken besuchen, und dieser anschliessend unschuldig dreckiger Absichten verdächtigt wird, so sei er hiermit gewarnt. Es kommt in Kempowskis "Hundstagen" vor, dort schauen die Mädchen immer Tom & Jerry, und es passiert mit Ripple, dort knabbern die Mädchen Jaffa-Kekse, bis ihre Mutter erbost sein Wohnzimmer stürmt:

In erster Linie jedoch dachte ich daran, was für eine Dreistigkeit es gewesen war, in einem fremden Haus den Fernseher auszuschalten, vielleicht sogar zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit.

Aber was ist schon unschuldig? Hier bitte:

Aber die Wahrheit ist, auch wenn ich sie nie anrührte, so wollte ich es doch ... ein nackter Arm, eine Wange, ein nacktes Bein, sie mir aufs Knie setzen ... Mehr gibt es nicht, was ich mir noch eingestehen könnte.


William Holman Hunt, Awakening Conscience Quelle
Damit ist Tom Ripples Zeit in Suffolk auch schon vorbei. Wir schreiben mittlerweile 1990, er geht zurück nach London und zieht nach Highbury in eine kleine Mietwohnung. Ja, natürlich sind auch wieder seltsame Nachbarn da, nicht zuletzt die beiden kleinen Balletttänzerinnen in der Wohnung unter ihm, immerhin sind die volljährig. In seine Wohnung hängt er eine Reproduktion von William Holman Hunts "Awakening Conscience", mit der wir, Chadwick und Ripple den Bogen erwachend zur Unschuld wieder schliessen.

Übrigens: Wie finden Sie das eigentlich als Leser, dass man Bilder, die in Romanen herumhängen, sofort und problemlos drinnen googeln kann? Einerseits: Sie wissen dann, wie das Bild aussieht. Andererseits: Sie wissen nicht mehr, wie dieses Bild hätte für Sie aussehen können, wenn es nicht mehr so leicht erreichbar ist, und Sie es vielleicht erst Jahre später in einer Monographie entdecken und Sie längst vergassen, von woher und warum Sie dieses Bild einmal suchten.


Zustand: Ich habe noch immer nicht über Humor und Mitleid geschrieben.
Prophezeiung: Balletttänzerinnen, au weia.


Kommentar #1 von bleistifterin:

Ich find's gut. Mein Interesse an der Kunst William Blakes beispielsweise stammt ganz und gar aus der Zeit, als ich die Hanibal-Lecter-prequel "Roter Drache" las und mich die ganze Zeit fragte, wie wohl das Bild aussieht, mit dem der erzählende Serienkiller sich selbst so stark identifiziert, dass er versucht, es aus selbsttherapeutischen Zwecken zu essen.
Und da war ich zwölf, und es gab noch gar kein Internet. Oder google. Oder Kunstkataloge (für mich zugängliche, meine ich).

21.11.2007 / 17:55

Kommentar #2 von Bruno Klang:

Schön, dass Sie gleich beide Themen meines Beitrags so elegant zusammenbinden. Übrigens: im Hintergrund hängt ein Spiegel, der die Rückseite des Mädchens zeigt, aber: zeigt er auch die linke Seite des üblen Kerls? Seltsam.

21.11.2007 / 23:22

Kommentar #3 von Kai Schreiber:

Zeigt er doch, oder?

22.11.2007 / 02:53

Kommentar #4 von Frau Grasdackel:

Ich sehe sie auch. Viel seltsamer finde ich, dass der Spiegel eher wie ein geöffnetes Fenster aussieht.

22.11.2007 / 03:58

Kommentar #5 von Bruno Klang:

Mmh, stimmt, ich hatte da einen Knick beim Sehen. Ja, der Spiegel hängt gegenüber des Fensters und der Betrachter müsste auf dem Fensterbrett sitzen.

22.11.2007 / 06:57