20.11.2007 / 22:20 / Ruben Schneider liest: Meditationen (Descartes)

Werbepause


Das hat mit Descartes jetzt fast nichts zu tun.
René Descartes ist nicht da. Er ist in der U-Bahn liegengeblieben, und ehe sein Lesemaschinenleser dies bemerkte, waren die vollautomatischen Türen des Untergrundzuges schon wieder ins Schloss gefallen und das Buch wurde unter Getöse in den dunklen Tunnelschlund hineingezogen.

Darum erfolgt nun abwechslungshalber der Blick in ein anderes Buch, um mich nicht dem dieser Tage umgehenden Vorwurf des Untätigseins auszusetzen. Ich bleibe auch möglichst themennah, also zog ich heute Nachmittag aus den Regalen der Universitätsbibliothek wach und zielsicher eine Monographie aus dem Themenkreis "Cartesische Philosophie" heraus. Auf dem Heimweg merkte ich, dass es sich um ein hier abgebildetes Taschenbuch über deutsche Geschichte und bei näherer Betrachtung sogar über den "Deutschen Bund im europäischen Staatensystem" handelte. Nun. Das ist ja ebenfalls ein wichtiges Thema. Meine historische Landkarte gleicht nämlich einem halbherzigen Bombenteppich, ein leeres Feld mit vereinzelten Einschlägen, die ungefähr präsente Ereignisse in der Weltgeschichte darstellen: Das bewegende Ende des Pleistozän, der Niedergang von Byzanz, die nützliche Erfindung des Rades, des Schiesspulvers und des Grammophons, die Französische Revolution, der Tod von Reichspräsident Hindenburg, die Explosion des Zeppelins Hindenburg, um nur die Mehrzahl mir bekannter Daten zu nennen.

Also, Wiener Kongress, 1814/1815. Man liest gleich am Anfang klangvolle Aussenministernamen, Klemens Lothar Wenzel von Metternich, Robert Steward Marquess of Castlereagh, Karl August von Hardenberg. Diese Herren agierten nach den napoleonischen Kriegen, als es – wie so oft in der Weltgeschichte – um die Neuordnung zerrütteter Neuordnungen ging. Die Devise lautete vernünftigerweise: "Richtig gezogene Grenzen, das ist die beste Friedensgarantie", im Gegensatz zu unverbindlichem Herumvertrauen in die Ortskenntnis blaublütiger Landesherren – eine Devise, die nicht nur der russische Zar als persönlich ziemlich kränkend empfand. Sympathischer ist da Fürst Metternich, sein diplomatisches Geschick entfaltete sich offenbar vornehmlich auf Bällen, Konzerten, in Damenzimmern und Herrensalons. Polen und Sachsen sollten – wie auch so oft in der Geschichte – zwischen Russland und Preussen zerteilt, eingereiht und unterjocht werden. Diplomatengeschacher, beleidigte Kaiser, entnervte Staatsminister, militärisches Säbelrasseln, und: Vielfarbige, multikulturelle Friedensdemonstrationen in Österreich, schon 1815! Ich muss deutlich mehr Geschichtsbücher lesen.

Soweit also die ersten zehn Seiten dieses bildenden Buches. Ungefähr in der Mitte finden sich Lieder. Morgen bestelle ich aber einen neuen Descartes.


Kommentar #1 von Rudi K. Sander:

Lieber Ruben Schneider,
soeben lese ich bei Helmut Pape:
"Es gibt stets eine konkrete Situation und konkrete Lebensform des Menschen, auf die die philosophischen Erkenntnisbemühungen zurückbezogen sind und von denen sie ihre Einheit erhalten."
Jetzt verstehe ich erst richtig, was Sie meinten, als Sie schrieben, man müsse alles von Descartes Gesagte aus seiner Zeit heraus und bezogen auf seine persönliche Lage (und die der damaligen Philosophie) verstehen. An Descartes herummäkeln, weil wir manches heute besser wissen (zu wissen glauben), wäre somit wirklich unzulässig.
Also ziehe ich jetzt meinen Hut vor descartes (und vor Ihnen).
Beste Grüsse, RS.

24.11.2007 / 01:13

Kommentar #2 von Ruben:

Ja, es ist halt immer recht billig, alte Philosophen vom Tribunal des heutigen Standes her abzukanzeln. Das ist genauso falsch wie wenn man heutige Denker nur durch die Brille alter Denkschemata sieht und vom Tribunal des alten Standes her abkanzelt. Ich habe nichts gegen kritische Beleuchtungen, die von gewissen Positionen aus erfolgen – mache ich selber oft genug –, aber das ist immer das zweite, das erste ist, den Text erstmal zu lesen. Und nichts ist schwieriger, als einen Philosophen einfach nur zu lesen.

24.11.2007 / 01:57