18.11.2007 / 15:40 / Sascha Lobo liest: Der ewige Spiesser (Ödön von Horvath)

Der ewige Spiesser (Beginn)

Aufmerksame Leser dieser Wiederverdauungsanlage werden wissen, dass ich mit Kathrin Passig gemeinsam ein Buch über Prokrastination schreibe. Das ist derzeit meine grösste von etwa dreizehn Aufgaben. Nun ist es so, dass sich in solchen Fällen bei mir die Prokrastination ändert; will sagen – wenn ich vor grossen Aufgaben stehe, tue ich auf ganz andere Art nichts, als wenn ich normale, kleinere Aufgäblein verschiebe. Bücher lese ich dann mit einer gewissen Unruhe, so mag es von aussen scheinen: Ich fange in der Mitte an, verliere nach drei Minuten die Geduld, springe an den Anfang, den ich aber auch schon fünf Mal angefangen habe, dann blättere ich nach vorn, versuche, eine mir wichtig erscheinende Figur wiederzufinden, lese zwei Seiten, verliere die Lust und versuche dort weiterzulesen, wo ich in der Mitte aufgehört habe, merke dann aber, dass ich das Anfangssetting schon wieder vergessen habe und werfe das Buch in die Laptoptasche, falls sich unterwegs eine Situation ergibt, in der das Buch gelesen werden kann. Das passiert übrigens nie. Der unvoreingenommene Betrachter interpretiert diesen gesamten hektisch-aktionistischen Vorgang als wirr, ungeordnet und uneffektiv und genauso ist es natürlich auch. Das macht es etwas schwierig für mich, ein Buch so zu lesen, dass ich dem Lesemaschinenleser die chronologische Passierlawine vermitteln kann. Aus diesem Grund klaube ich Mosaiksteinchen aus dem Buch, vermenge sie mit der Erinnerung, vor vielen Jahren habe ich das ja schon mal gelesen, und täusche so geschickt den Leser darüber hinweg, dass ich in Wirklichkeit zu fahrig bin, um mehr als eine Drittelseite hintereinanderweg zu lesen.

Kobler hatte aus einer Verbindung mit einer ältlichen Hofopernsängerin ein Cabriolet herausschlawinert, das er einem reichen Provinzler namens Portschinger verkauft. Das Cabriolet ist Schrott, aber Portschinger merkt es ironischerweise erst nach dem Kauf, weil er sich mit Speichelleckern umgibt, die ihm jede seiner Entscheidungen als die bestmögliche bestätigen. Kobler beschliesst, mit dem ergaunerten Geld zur Internationalen Weltausstellung nach Barcelona zu fahren, mit dem Zug durch die Schweiz, Italien, Frankreich bis nach Spanien. In Barcelona möchte er fremdländische Hofopernsängerinnen für sich einnehmen und Portschingers aus aller Welt ausnehmen; mit diesem Plan fühlt er sich so international, dass er beschliesst, Paneuropäer zu werden.

[Kathrin, mach doch bitte auch einen Prokrastinationsbuch-Progressbar für mich. SL
Ja, bau ich dir morgen oder übermorgen ein. KP]


Kommentar #1 von Sascha Lobo:

Ich weiss nicht, ob das bisher nicht deutlich geworden ist, aber ich schreibe diesen Kram auch, um Reaktionen zu bekommen, also Kommentare. Ich erwarte daher gefälligst, dass man sich mit dem Text beschäftigt und irgendwas drunter schreibt. Kann auch Kritik sein, ich bin ja gar nicht so (oder nur ein bisschen oder nicht immer oder jedenfalls manchmal auch nicht). Also frischwärts!

18.11.2007 / 20:10

Kommentar #2 von Ein Mitfühlender (getarnt als Schlechtes Gewissen):

Ihre Forderung, Ihnen Spielzeuge zur Zeitverplemperung bereitzustellen, scheint schon recht verzweifelt. Kommentare lesen ist reine Prokrastination! Ich rate Ihnen, nun endlich das Buch in Angriff zu nehmen. Die arme Frau Passig hat sich hier schon mehrmals über ihren Coautor beschwert... Auf Ihre netten Artikelchen möchte ich aber doch nicht verzichten. Die sind eine wertvolle Form von Prokrastination. (Und wenn ich das richtig verstanden habe, also genau um was es geht.)

19.11.2007 / 12:27

Kommentar #3 von irgendwem:

Ich möchte bitte gerne das Prokrastinationsbuch lesen. Nein, eigentlich möchte ich, dass das Prokrastinationsbuch in der Lesemaschine gelesen wird. Sofort. Danke.

19.11.2007 / 16:58

Kommentar #4 von Kathrin:

Nichts lieber als das möchten wir auch. Sobald wir die Zeitmaschine entwickelt haben, die es uns ermöglicht, heimlich das ganze Buch aus der im nächsten Oktober erscheinenden Fassung abzuschreiben, geht es los.

19.11.2007 / 18:05

Kommentar #5 von nochmal irgendwem:

Hm. Das mit der Zeitmaschine ist eine superbe Idee. Blöd ist nur: Wenn Ihr es geschafft hättet mit der Zeitmaschine, dann wäre das Prokrastinationsbuch ja nun da. Hm. Ist es nicht. Hm. Habt Ihr die Entwicklung der Zeitmaschine vielleicht genau so engagiert betrieben wie das Schreiben des Prokrastinationsbuches? Hm?

19.11.2007 / 20:13

Kommentar #6 von Sascha Lobo:

Ach Unsinn, das Buch wird geschrieben, da setzt man sich morgens um neun an den Schreibtisch und ist um eins fertig, so einfach.

20.11.2007 / 00:31

Kommentar #7 von Horst Hirst:

Man könnte ja auch so ca. 22 volle und dann 200 leere Seiten veröffentlichen bei einem Prokrastinationsbuch, aber das ist dem rosigen Verleger wahrscheinlich zu gewagt.

20.11.2007 / 14:14

Kommentar #8 von irgendwem:

Lustig, von 8 Kommentaren beschäftigen sich 7 mit dem Prokrastinationsbuch, obwohl ja hier ein völlig anderes Buch gelesen wird. Das scheint der Renner zu werden. An Kommentar #6: Ist das Buch jetzt schon seit 13.00 Uhr fertig oder erst um 1.00 Uhr?

20.11.2007 / 17:53

Kommentar #9 von thx1138:

Warum gerade der ewige Spiesser? Und wenn es denn einen ewigen Spiesser gäbe (oder, etwas altmodischer ausgedrückt: Den Gutbürgerlichen): Wie sähe dann die Antithese zu dieser Lebens... äh, form(?) aus? Das Thema wurde doch in den letzten vierzig Jahren genug lange behandelt. Zumindest die Achtundsechziger (der Inbegriff des Revolutionären, hahaha!) haben mittlerweile ebenfalls erfolgreich die Wende zum bünzligen* Urbanismus mit Designermöbeln und Weltliteraturklatsch (aus dem man partout nichts für das eigene Leben gelernt hat) geschafft. Tritt man jetzt zuvorderst an der Literatur- und Kulturfront in dieselben Fussstapfen? MANN, ETWAS MEHR MUT BITTE!
*bünzlig = kleinbürgerlich in der guten alten Schweiz / Die bünzligen Urbanisten (v. a. Linke, Kulturschaffende und progressiv Grüne) sind mittlerweile zu einem Running-Gag der rechten Intellektuellen geworden.

24.11.2007 / 23:27