12.11.2007 / 19:13 / Kathrin Passig liest: Alles (von allen)

Italo Svevo: Zeno Cosini (27-46)

Wie fast alle bisher hier gelesenen Bücher habe ich auch "Zeno Cosini" auf Empfehlung von Herrn Rutschky gekauft. Es soll darin, so hört man, um, nun ja, das Thema mit P. gehen, und tatsächlich versucht der Erzähler auf den ersten Seiten bereits so tapfer wie vergeblich, das Rauchen aufzugeben. Betrachten wir also heute das Unterthema "Gute Vorsätze".

Die Wände in Cosinis Wohnungen sind über und über mit den Daten bedeckt, an denen er seine ein für allemal letzte Zigarette geraucht hat. Aber lernt er daraus? Natürlich nicht. Ein Merkmal herausragender Prokrastinierer scheint zu sein, dass sie eine überaus verwegene Vorstellung von der Selbstdisziplin hegen, die sie gleich ab morgen aufbringen werden. Wenn man öfter als, sagen wir, dreimal am selben Problem gescheitert ist, drei sinnlose Diäten gemacht, sich dreimal vorgenommen hat, ab morgen immer sofort nach dem Essen abzuspülen – warum ist es dann so schwer, einzusehen, dass der Lösungsansatz grundsätzlich verfehlt ist? Ich habe dazu bisher noch nicht einmal eine Theorie, werde mir aber bald eine ausdenken.

Gestern ging es um Dinge, die man eigentlich tun sollte, aber nicht tut. Heute geht es um Dinge, die man unterlassen sollte, aber trotzdem tut. Beides wäre mit dem lateinischen Gerundivum leichter ausgedrückt, und irgendwer müsste mal untersuchen, ob die Blüte des Römischen Reichs damit zu tun hatte, dass To-Do-Listen dort ihren Niederschlag in der Grammatik gefunden haben. Wo ist die Sprache, die eine gesonderte Wortform für Tätigkeiten hat, die man ebensogut unterlassen kann, einen Spezialausdruck für Egales? Aber auch das Litauische verfügt über ein Gerundivum, das dem Land bisher nicht viel geholfen hat, deshalb zurück zu den praetermittenda:

"Ich schloss damit, dass es mir leichter wäre, auf die drei täglichen Mahlzeiten zu verzichten als auf die Zigaretten; denn dazu muss man sich immer wieder mit derselben Anstrengung entschliessen, jeden Augenblick, den ganzen Tag lang. Und wenn man mit diesen aufreibenden Entschlüssen ununterbrochen beschäftigt ist, bleibt einem für nichts anderes mehr Zeit (...)"

Was Cosini hier beschreibt, hat auch die Wissenschaft gerade erkannt: Selbstkontrolle nutzt sich ab, wenn man sie betätigt. Wer den ganzen Tag damit beschäftigt ist, auf Zigaretten zu verzichten, hat keine Energie mehr für sinnvolle Tätigkeiten übrig. Ich werde mich daher jetzt mit dem Buch aufs Sofa zurückziehen, um die restlichen 600 Seiten aufzusaugen. Widerstand ist mir zu riskant, ich habe schliesslich noch Dinge zu erledigen.

Prokrastinationsbuch: 10 von 200 Seiten geschrieben.


Kommentar #1 von Läscher:

Statten Sie auch "Tristram Shandy" und dem "Oblomow" einen Besuch ab, wenn Sie das Thema mit P. recherchieren?
Das dürfte sich lohnen, ich sag nur "Tristrapedia".

30.11.2007 / 02:03