07.11.2007 / 16:19 / Bruno Klang liest: Ein unauffälliger Mann (Charles Chadwick)

Reihenhaus, jetzt (1-63)


North Circular Road, Ort des Geschehens Quelle
Ich lese gerade, dass "Ilsebill salzte nach" aus Grass´ Butt von Stiftung Lesen als der schönste Anfangssatz eines deutschen Romans gewählt wurde. Charles Chadwick beginnt mit "Eine Weile waren die Häuser links und rechts von uns leer", das ist gewiss nicht gross, aber besser als dieser eitle erste Grassatz, finde ich, 1:0 für England.

London 1970. Tom Ripple, Anfang 40, wohnt in der Nähe der North Circular Road gemeinsam mit seiner Frau und seinen beiden Kindern. Der Roman besteht aus seinen Aufzeichnungen, die er während reichlich freier Zeit in seinem langweiligen Job schreibt, und zwar für "ein bisschen Selbsterkundung". Seine Frau ist Sozialarbeiterin und geht ihrem Mann mit ihrer Gutartigkeit auf die Nerven, die Kinder sind unauffällig. Das Personal wird komplettiert durch zwei Nachbarpärchen sowie Ripples Chef und einen Gehilfen. Alles sehr ruhig bis jetzt. Es liest sich so, als würde langsam der Teppich ausgerollt, auf dem bald die Romanmöbel aufgestellt werden.

Auffällig: Chadwick, oder Ripple, liebt die Klammer. Er macht sehr ausführlich nachdrücklich Gebrauch davon, durchaus auch einmal über 20 Zeilen. Durchschnitt sind drei Klammern pro Seite, aber ich hab auch schon fünf gefunden. Die Klammer ist im Roman aus gutem Grund nicht besonders beliebt. Ich finde, entweder gehört etwas dazu, dann steht es da, oder nicht, dann steht es eben nicht da. Klammertext aber ist nur halb dabei, wie eine Schnuppermitgliedschaft, ein Probeabo, ein dritter Torhüter.

Zustand: misstrauisch, aber wir haben ja Zeit.
Prophezeiung: wahrscheinlich hat einer dieser frühen Figuren ein erhebliches Tragikpotential ab Seite 500. Ich tippe auf den Nachbarn, den neugierigen Mr. Webb.


Kommentar #1 von Frau Grasdackel:

Da wird man doch mitten in der Nacht einfach so von seiner Internetverbindung getrennt. Unverschämtheit.
Ähnlich nervig: "Der Ekel" von Jean-Paul Sartre. Im Anhang gibt es über 50 Seiten mit über den ganzen Roman verteilten Fussnoten, die Passagen enthalten, die Sartre auf Wunsch seines Lektors streichen musste. Aber damit nicht genug: Diese Fussnoten enthalten wiederum Unterfussnoten, die auf zu lange Textvarianten hinweisen. Habe aber trotzdem alles geduldig und vollständig gelesen.

08.11.2007 / 02:52

Kommentar #2 von Bruno Klang:

Sie haben völlig recht, Frau Grasdackel. Ich habe nach der dritten Querfussnote aufgegeben. Übrigens: super am Ekel ist der Autodidakt, der sich nur bei Sachen auskennt, die mit A-G anfangen, weil er alles alphabetisch liest. Tolles Prinzip, dachte ich mir damals, so wird man eher einen alten Rentner fragen, wenn man etwas über eine W-Sache erfahren möchte. Ich selbst war damals allerhöchstens in B-Fragen kompetent, und viel mehr kann ich über Sartre auch nicht sagen, weil das noch dauert, aber frage mich mal einer über Camus!

08.11.2007 / 08:14

Kommentar #3 von Frau Grasdackel:

Als sich der Autodidakt in einem Gespräch mit Antoine Roquentin, der seine Lesemethode beobachtet hat, über ein Buch eines Autors mit dem Anfangsbuchstaben N auslassen will, ruft ihm dieser lebhaft zu: "Ausgeschlossen. Sie sind erst bei Lavergne...". Der Autodidakt verliert die Fassung, seine dicken Lippen schieben sich weinerlich vor. Aber schon nach dreissig Sekunden fängt er sich und meint, dass er in sechs Jahren sein Studium beendet haben wird.
Rein rechnerisch, Herr Klang, dauert es bei Ihnen noch zehn Jahre. Geht doch.

09.11.2007 / 03:37

Kommentar #4 von Joan K. Highsmith:

Man müsste jetzt noch irgendeinen vernünftigen Tom Ripley- und/oder Tom Riddle-Kalauer machen, aber mir fällt leider nix Gutes ein.

09.11.2007 / 10:07