01.11.2007 / 18:32 / Ruben Schneider liest: Meditationen (Descartes)

The bumpy road to reality

Ein Stockwerk weiter unten lässt sich Aleks Scholz von Roger Penrose an die Hand nehmen und mehr oder weniger behutsam zu dem hinführen, was uns alle heftig zu umgeben scheint und fortwährend beschäftigt: Zur Wirklichkeit. Auch ich möchte dorthin. Allerdings wähle ich für den Weg zur Wirklichkeit ein anderes Vehikel, ein etwas älteres und scheinbar angestaubtes, aber meiner Meinung nach dennoch höchst taugliches: René Descartes und seine "Meditationen über die Erste Philosophie". – Wer erinnert sich nicht: Cogito, ergo sum – Was ist mein Geist? – Existiert die Aussenwelt überhaupt? – Matrix klassisch.

Descartes geistert nicht wenig durch die gegenwärtige Medien- und Fachpublikationslandschaft. Gerade in der Zeit der hochaktiven Hirnforschung und der Philosophy of Mind taucht er fortwährend auf und es vergeht kaum ein Halbjahr, ohne dass wieder irgendwer meint, Descartes widerlegt zu haben. Mit Descartes hebt das Denken der Neuzeit an und sie scheint beständig mit ihm zu hadern. Wer ist also dieser Descartes, was sagte er und was wollte er sagen? Seine Texte lesen sich scheinbar einfach, gehören aber zu den tückischsten der Philosophiegeschichte, und aufgrund dieser fallen- und schlaglochreichen "bumpy road to reality" muss man sehr aufpassen beim Lesen – man liest es am besten mehrfach. Dies ist also eine Zweit- oder Drittlektüre, denn natürlich habe ich ihn bereits gelesen. Aber diesmal soll es etwas gründlicher und aufmerksamer zugehen, was schon eine ziemliche Zumutung ist in meinem zerschlissenen Alltag. Ich werde Häppchenweise lesen. Schließlich geht es um die Wurst: Alle reden immer von dieser Wirklichkeit und widmen ihr die raffiniertesten Experimente und Theorien. Doch sie verwenden dabei in jedem Satz und jeder Behauptung Grundannahmen, von denen überhaupt nicht so klar ist, ob sie denn auch stimmen.

Philosophie beginnt da, wo der sogenannte "ontologische Schock" einsetzt: Wenn man merkt, dass die einfachsten Annahmen nicht so ohne weiteres hinhauen.
- Die Annahme zum Beispiel, dass man sich tatsächlich auf irgendeine geistunabhängige Realität außerhalb unseres Denkens bezieht, wenn man von den Dingen da draussen spricht (Externality).
- Oder die Annahme, dass es, wenn es da draussen etwas gibt, auch mehrere Einzeldinge sind und nicht nur ein riesiges Objekt: "The Blobject" (the big object), in dem wir nur rein willkürlich irgendwelche Segmente umreißen und dann meinen, diese Segmente würden auch unabhängig von uns Einzeldinge sein – ein Tisch, ein Baum, ein Molekül, ein Ding, ein Zustand, ein Etwas,... (Individuality).
- Oder: Treffen unsere grundlegendsten Wörter und Begriffe, ohne die wir keine einzige wissenschaftliche Theorie über die Welt bilden können, überhaupt die Wirklichkeit? Sind unsere Gründe für die Annahme, dass wir irgendetwas sicher wissen können über diese angebliche Wirklichkeit da draussen, denn überhaupt tragfähig? (Objectivity)
Externality, Individuality und Objectivity – das sind auch in der heutigen Metaphysik noch drei große Grundprobleme. Alle drei Fragen finden sich in exponierter Weise in Descartes' Meditationen und erhalten dort eine ebenso raffinierte wie weitreichende Antwort.

Was können wir tatsächlich sicher wissen? Bekanntlich lautet eine der Kernaussagen Descartes': Selbst wenn mir alle bisherigen Gewißheiten dahinschwinden und ich alles bezweifle, eines weiß ich absolut sicher: Dass ich zweifle, und somit existiere. Aber kann es nicht sein, dass ich selbst diese Behauptung nicht so ohne Weiteres als sicheres Wissen formulieren kann? Diese Frage ist, wie sich noch zeigen wird, berechtigt und beunruhigend.

Die Reclamausgabe der Meditationen kostet nur ein paar Euro. Schöner ist natürlich die vollständige Ausgabe der Meditationes mit dem ziemlich umfangreichen Briefwechsel von Descartes, der mit seinen damaligen Lesern geführt werden musste, weil sie eben genau in obengenannte Schlaglöcher gerieten und sich mitunter heftig beschwerten (erschienen im Meiner-Verlag, 493 Seiten).


Kommentar #1 von Rudi K. Sander:

Lieber Ruben,
schön, dass Sie hier auch aktiv sind. Mit der Lesemaschine ist die Riesenmaschine erst wahrhaft zu sich selber gekommen. Jetzt ist der Hegerpreis für alle Beteiligten wirklich angemessen.
Zum Buch: Achten Sie bitte darauf: Ohne Dreiwertigkeit werden Sie die prinzipielle Zweiwertigkeit des Cartesischen Denkens nicht klar herausstellen können. Lesen Sie, bitte, am besten hier in der Lesemaschine, "Reflexionslogische Semiotik" von Nina Ort, (bei AMAZON).
Herzliche Grüße
Rudi

02.11.2007 / 02:49

Kommentar #2 von Ruben:

Entschuldigung, was auch immer Sie damit aussagen wollen, aber ich will Descartes lesen, und nicht Descartes-Interpreten, Sekundärliteratur oder sonstige Fremdlektüre. Und das gilt für alle, die jetzt mit irgendwelcher schlauen Fachliteratur über Descartes aufwarten wollen: Es geht mir um den Text von Descartes selbst, und darum, diesen ohne bereits vorgefertigte fremde Meinungen zu lesen, so, als wäre er heute erst frisch erschienen. Ich will ihn ganz bescheiden und ohne Brille lesen und sehen, was da eigentlich wirklich konkret steht und nicht, was andere alles für mehr oder weniger kluge Sachen über ihn sagen.

02.11.2007 / 04:18

Kommentar #3 von irgendwem:

Ich könnte ihn nicht ohne Brille lesen, selbst wenn ich wollte, wie auch immer die gefärbt sein sollte oder auch nicht.
In dieser Wirklichkeit ist ein Leben mit vielen Dioptrien ein schwieriges (nicht nur zwei oder drei); der schwache Leib hat in diesem Sinn die freie Seele voll im Griff. Fiat lux instead of nox!

02.11.2007 / 20:06

Kommentar #4 von Ein Wartender:

Herr Ruben, wo ist denn Ihr zweiter Kommentar geblieben, der doch hier schon mal stand?

04.11.2007 / 14:28

Kommentar #5 von Ruben:

Verzeihung, da musste noch was wegen des Seitenanzahlbalkens rumprobiert werden. Steht bald wieder da, wenn Sie daran interessiert sind.

04.11.2007 / 14:34